Oktober 2012 in Rostock
Schüler bauen interaktive Wanderausstellungen:
„Astronomie beGreifen“
und
„Renaissance trifft Physik“
Zusammenfassung
Schüler erstellen interaktive Wanderausstellungen im Stil eines Science Centers: 2010 sind es im regulären Unterricht 18 Exponate zur Geschichte der Astronomie, 2012 neun zur Physik der Renaissance. Kennzeichen des Projekts ist eine enge Verzahnung fachwissenschaftlicher und handwerklicher Tätigkeit; neben lehrplankonformem Wissen werden methodische und soziale Kompetenzen erarbeitet.
Gewöhnlich sind bei kulturgeschichtlichen Themen Experimente kaum vertreten – ab jetzt können sie an unserer und anderen Schulen mit den fertigen Hands-on-Exponaten als Schülerversuche unterrichtet werden. Auch in kunsthistorischen Museen lässt unsere Ausstellung die Funktion alter Geräte wieder aufleben. Sie macht Wissenschaft als zentralen Teil abendländischer Kultur „be-greifbar“
Geschichte unserer Kultur
„Kultur ist im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt“. Welche Kennzeichen sind für unsere Lebensweise charakterisierend, welche Kernelemente unserer abendländischen Kultur haben eine besonders große Wirkung entfaltet? Es sind dies Neugier, Erkenntnis und Anwendung. Wissenschaft und Technik bilden die Eckpfeiler unserer Weltsicht und Grundlage für unseren heutigen, historisch unvergleichlichen Wohlstand.
All dies entfaltete sich besonders an der Schwelle vom Mittelalter in die Neuzeit. Sie kennen wichtige Zeitmarken: Die Entdeckung Amerikas oder die kopernikanische Wende.
Diese Gedanken möchte ich meinen Schülerinnen und Schülern anhand lokaler Bezüge vermitteln. Überall in Europa wurde eine Fülle von Beiträgen dazu geleistet, auch in Franken: Das Hauptwerk von Nikolaus Kopernikus, de Revolutionibus Orbium Coelestium, wurde zuerst in Nürnberg herausgegeben. Christoph Columbus navigierte mit Tabellen von Regiomontanus – hier im Bild mit einem Astrolabium. Es gibt sehr viele weitere Beispiele. Wie kam es dazu?
Von Nürnberg gingen wichtige Handelswege aus. Diese Impulse brachten außergewöhnlich gute Handwerker hervor, die präzise feinmechanische Geräte bauen konnten. Das machte sie für herausragende Wissenschaftler aus ganz Mitteleuropa attraktiv, die solche Beobachtungsinstrumente und Messgeräte brauchten. Und sie wiederum entwickelten bahnbrechende Erkenntnisse. Nürnberg wurde in der Mathematik eine der bedeutendsten Städte Europas. Von hier aus verbreiteten sich zum Beispiel die Winkelfunktionen.
Präsentation im Museum
Von den alten Instrumenten existieren noch manche. Eines der weltweit bedeutendsten Museen für mittelalterliche Kultur ist das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg. Es birgt auch einen stattlichen Fundus an Astrolabien. In Vitrinen werden die Ausstellungsstücke gezeigt, Schildchen geben Auskunft über Jahreszahl, verwendetes Material und Inventarnummer.
Auch wenn sie heute oft bloß als kunstgeschichtliche Gegenstände präsentiert werden: Um die wirkliche Bedeutung dieser Geräte für die Entwicklung unserer Kultur wenigstens ansatzweise schätzen zu können, ist es nötig, etwas über ihre Funktion zu erfahren und in Kontakt mit den großen Ideen zu treten, die hinter ihnen stehen. Die komplexen geometrischen Gedanken müssen erlebbar werden!
Schulprojekt
So war die Leitfrage unserer Schulprojekte: „Wie kann man diese historischen, wissenschaftlichen Instrumente angemessen in einer Ausstellung präsentieren?“ Deshalb entschieden wir uns für den Bau einer Ausstellung, in der Besucher selbst Hand anlegen und selbst mit den Ideen großer Entdecker experimentieren, um deren wirkliche Funktion wieder aufleben zu lassen und die innewohnende Innovation im Wortsinn zu „be-greifen“. Damit lernen sie auch deren geschichtliche Bedeutung zu verstehen.
2010 in einer 10. Klasse im Rahmen des regulären Physikunterrichts und 2011 in einem fächerübergreifenden P-Seminar bauen die Jugendlichen die historischen Vorlagen daher als wissenschaftliche Geräte nach und bereiten sie museumsdidaktisch auf. Neben dem Bau von funktionierenden und ästhetischen Modellen legen wir besonderen Wert auf Texte, die aussagekräftig und verständlich sind und dennoch aufgrund ihres Umfangs für den Besucher keine abschreckende Hürde darstellen. Dies gelingt durch ein mehrstufiges Textkonzept, das vom Museum Turm der Sinne in Nürnberg entwickelt wurde. Er ist Partner unseres Projekts, ebenso wie das FABLAB, mit dessen Lasercutter einige an sich anspruchsvolle Modelle handwerklich recht einfach umsetzbar werden.
Es entsteht eine Wanderausstellung aus 18 bzw. 9 „Hands-on-Exponaten“ zur Geschichte der Astronomie bzw. zur Physik der Renaissance, siehe dazu auch www.wanderausstellung.eu . Seither werden diese Ausstellungen in mehreren Museen gezeigt und für verschiedene Lehrerfortbildungen an Schulen und Universitäten genützt.
Ausstellung in Rostock
Eine (im Pkw gut transportable) Auswahl von Exponaten der Wanderausstellungen wurde im Oktober 2012 im Rahmen des Internationalen Symposiums über mittelalterliche astronomische Großuhren in Rostock gezeigt: Vier Stationen mit Bezug zur Zeitmessung sowie eine Einführung und eine Tafel zum didaktischen Konzept.
- Ein Astrolabium zum Messen von Sonnen- und Sternpositionen,
Uhrzeit, Himmelsrichtung und weiterem,
- eine Kalenderscheibe zum Umrechnen von Nürnberger Stunden
in äquinoktiale und zum Ermitteln von Sonnenauf- und
untergangszeit,
- eine mechanische Umsetzung des Weltmodells aus der
Schedelschen Weltchronik mit kristallenen Sphären
für die Planeten,
- eine Konstruktion mit Planetengetriebe zum Veranschaulichen
der Bewegung von Sonne und Fixsternen sowie der
Epizyklenbewegung der Planeten im geozentrischen Modell.
Ausblick
Nicht nur Themen der Wissenschaftsgeschichte lassen sich auf diese Weise gut umsetzen. Sowohl beim Bau im Unterricht als auch später beim Betrieb mit Besuchern erreichen sie durch die Selbsttätigkeit erhöhte Motivation und tieferes Verständnis.
Eine umfassende Darstellung des Projekts finden Sie auf der Internetseite www.physik.de.rs.
Das Plakat des Symposium
Regiomontanus, 15. Jahrhundert
Vitrine mit zwölf Astrolabien im GNM Nürnberg
Texttafel aus dem Germanischen Nationalmuseum
Schüler kommen zum Experimentieren in der Pause
Die Anleitung für eines unserer Hands-on-Exponate
Ein Teil der Wanderausstellung im Rathausfoyer